Silke Stamm, Foto: Tara Wolff

Silke Stamm gewinnt mit ihrem experimentellen Prosatext »Hohe Berge«

Fünf Männer, eine Frau, eine alpine Skidurchquerung im Spätwinter: Wind, Nebel, manchmal Sonne, möglicherweise auch Lawinen. Für acht Tage sind sechs Menschen, die sich vorher nicht kannten, zusammen im Hochgebirge unterwegs.

Silke Stamm, geboren 1968 in Schwenningen am Neckar, studierte Mathematik und Physik in
Freiburg und Edinburgh und unterrichtet heute als Lehrerin. Sie ist Mitglied im »Forum Hamburger Autorinnen und Autoren« und wurde 2013 mit einem Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg ausgezeichnet. Zuletzt erschien 2017 ihr Buch »Besser wird es nicht. Achtundneunzig Arten, eine Antwort zu erhalten« bei PUNKTUM Bücher.

Laudatio

Acht Tage, in denen der Erzählerin ihre Außenseiterrolle mehr und mehr bewusst wird – als einzige Frau in einer Gruppe alpiner Abenteurer, die sich notgedrungen sehr nahekommen, die gemeinsam auf verlassenen Berghütten übernachten und vom Moment ihres Aufbruchs an einander ausgeliefert sind. Die Sorge, die eigenen Fähigkeiten überschätzt zu haben, ist so allgegenwärtig wie die Gefahr von Schneestürmen und Lawinenabgängen. Die Gruppe harmoniert nicht, und intuitiv richtet sich die Aufmerksamkeit der Erzählerin auf denjenigen, der die Fäden in der Hand zu halten scheint: den Leiter der Gruppe, ihren Bergführer.
Silke Stamms Text »Hohe Berge« ist mutig, er besteht gänzlich aus Infinitivsätzen. Das Tempo, das er dadurch entfaltet, ist enorm und seine Verdichtung brillant. Stilsicher wird das an sich schon beklemmende Szenario durch die kategorische Satzstruktur noch gesteigert. Wir Leser*innen fühlen uns wie auf einer alpinen Abfahrt, die die Autorin uns hinunterschickt. Es ist, um in der außergewöhnlichen Sprache von »Hohe Berge« zu sprechen, ein echtes Leseerlebnis: Aufzublättern, Atem zu holen, Fahrt aufzunehmen, fokussiert zu sein auf eine Erzählung, durch die wir fliegen, die Zeit zu vergessen, verzaubert zu sein, den imaginären Hut zu ziehen und sich zu verbeugen vor dem beeindruckenden Text von Silke Stamm.
Thomas Bleitner