Mirko Bonné, Foto: Tara Wolff

Mirko Bonné gewinnt mit seiner Neuübersetzung von Joseph Conrads »The Nigger of the ›Narcissus‹ / Der Niemand von der ›Narcissus‹« aus dem Englischen für mare

Eine Neuübersetzung von Joseph Conrads berühmt-berüchtigtem Narcissus-Roman ist nicht nur aufgrund der im Text dutzendfach verwendeten pejorativen Bezeichnung ein vertracktes Unterfangen. Ebenso fordert der holzschnittartig verknappte und schnell eintönig wirkende Matrosenjargon, der selbst im Original nur bedingt authentisch klingt, zu kreativen Lösungen heraus. Laut Umberto Eco verhandelt der Übersetzer, indem er achtsam Verletzungen des Originals in Kauf nimmt, um wichtigere Elemente erhalten zu können. Er entscheidet nicht zwischen Richtig und Falsch, sondern wägt Gewinn gegen Verlust ab. Die drei bisherigen deutschsprachigen Übertragungen verzichten auf eine schöpferische Umgestaltung des einst, zu Kolonialzeiten, in gewisser Hinsicht vielleicht authentischen, jedoch immer schon verächtlichen Begriffs »Nigger«, dem die Diskriminierung eingeschrieben und der daher weit mehr als bloß ein Schimpfwort ist. Weder vergessen noch unterschlagen sollte man, dass der Ausdruck im Deutschen fester Bestandteil der NS-Rassenpropaganda war und noch immer ist.

Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt als freier Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Sein vielfältiges Oeuvre umfasst neben viel beachteten Romanen Gedichtbände, Erzählungen, Aufsätze und Reisejournale. Für sein Werk wurde er unter anderem mit dem Prix Relay (2008), dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis (2010) sowie dem Rainer-Malkowski-Preis (2014) ausgezeichnet. Bonné übersetzte zahlreiche moderne Klassiker, darunter Emily Dickinson, John Keats, Grace Paley, Henry James, Georges Simenon, Antoine de Saint-Exupéry und William Butler Yeats. Er ist Mitglied des PEN und zurzeit Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Im Frühjahr 2021 erscheint sein neuer Roman »Seeland Schneeland« bei Schöffling & Co.

Laudatio

Beim Blick auf den Originaltitel von Joseph Conrads 1897 erstmals erschienener Novelle – »The Nigger of the Narcissus« – leuchtet unmittelbar ein, warum eine Neuübersetzung geboten war. Bis zu Mirko Bonnés Übertragung führte auch der deutsche Text das N-Wort im Titel, doch mittlerweile liest man das grob Abwertende dieser Bezeichnung mit großem Unbehagen. Nun ist es nicht die Aufgabe von Neuübersetzungen, historische Texte so weit zu glätten, dass die Lesenden von heute sich behaglich darin einzurichten vermögen; bestimmte Zuschreibungen, die wir heute als rassistisch empfinden, wird der Text nicht los. Aber Bonné findet für das N-Wort zwei neue Lösungen, den Niemand im Titel und den Schwarzen oder auch schwarzen Mann im Text. Im Titel verschwindet damit der Verweis auf das soziale Konstrukt »Hautfarbe«, es bleibt aber – neben dem Wohlklang der Alliteration – der Bedeutungsgehalt, dass es hier um jemanden gehen soll, der nichts gilt. Gleichzeitig ahnen wir natürlich, dass ein Niemand, der es bis in den Titel schafft, so bedeutungslos nicht sein kann. Es ist ein großes Glück, dass wir von der Seereise des James Wait und seinem Verhältnis zu den anderen, weißen Seeleuten nun lesen können, ohne dass die Figur von vornherein abgewertet wird. So tritt wieder zutage, was Conrads Novelle auch ist: ein packender Abenteuerroman voller Seemannsgarn, eine Studie menschlicher Gemeinschaften zwischen Solidarität und Ausgrenzung, eine comédie humaine voller »Männekens«, »Hökerheinis«, »heruntergekommenen Wesen« und »Irenscheißern«. Sich dieser Mammutaufgabe angenommen zu haben, maritime Fachbegriffe, Umgangssprache und vertrackte Syntax mit Verve und einem wunderbaren Gespür für Rhythmus und Pointen ins Deutsche übertragen zu haben, dafür gebührt Mirko Bonné unser Lob und ein Preis.
Britt Somann-Jung