Julia Ditschke, Foto: Thomas Duffé
Julia Ditschke, Foto: Thomas Duffé

Julia Ditschke erhält einen Preis für ihre Erzählung »Mutter. Zwölf Versuche«

»Das Vorhaben kratzt an dem Mythos, dass Mutterliebe etwas ist, das sich zwangsläufig und augenblicklich einstellt. Es geht um Nähe, aber auch um Distanz zum eigenen Kind, um ein Ringen um Kontakt, auch zu sich selbst.«

Julia Ditschke, geboren 1977, absolvierte eine Ausbildung zur Verlagskauffrau und studierte in Münster Germanistik, Kulturwissenschaften und Kommunikationswissenschaft. Nach einer einjährigen Reise durch Südamerika und Großbritannien gründete sie den Goldfinch Verlag und war bis zum Verkauf 2010 dort Verlegerin. Heute arbeitet sie als freie Lektorin und veröffentlicht unter dem Pseudonym Julia Kaufhold Unterhaltungsliteratur. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Hamburg-Ottensen.

Laudatio

In einem Zimmer auf der Geburtsstation liegt eine Mutter, der das Kind in dem
kleinen Bett neben dem ihren noch nicht vertraut vorkommt. Statt es im Dämmerlicht des Raumes zu wecken und zu stillen, fl ieht sie nach draußen in die Sonne, zweifelnd, ob sie nicht doch lieber wie-der die sein möchte, die sie noch vor wenigen Stunden war.
Ein nachmittäglicher Ausfl ug in den Wald, bei dem Mutter und Sohn sich in einem abenteuerlichen Rollenspiel verlieren. Als die Mutter sich nur einen Hauch später aus ihrer Rolle löst, als das müde gewordene Kind danach verlangt, kippt die eben noch gelöste Stimmung so plötzlich, wie sie es im Alltag mit kleinen Kindern eben so häufi g auf unerwartete Weise tut.
In ihren Erzählungen mit dem Titel »Mutter. 12 Versuche« beleuchtet Julia Ditschke mit nüchternem und vielleicht gerade deshalb berührendem Realismus die verschiedenen Facetten einer Mutter-schaft. In ihren kurzen Skizzen entfaltet sich ein ganzes Spektrum möglicher Gefühle jenseits des Klischees der quasi angeborenen und unerschütterlichen Mutterliebe. Es geht um Mütter, die über-fordert sind, die sich an ihrer Verantwortung abarbeiten, um Mütter, die sich schämen oder die vergeblich nach Vorbildern suchen. Genauso aber geht es um die kleinen poetischen Momente des Alltags mit Kind. Die große Sensibilität, mit der Julia Ditschke ihre (Mutter-)Figuren mit all ihren Zweifeln und Nöten darstellt, ohne sie dabei jemals zu beurteilen oder gar bloßzustellen, sowie der sehr unaufgeregte, fl ießende Sound ihrer Erzählungen verdienen ohne Zweifel diese Auszeichnung.
Judith Weber