Cornelia Franz, Foto: Arne Vollstedt
Cornelia Franz, Foto: Arne Vollstedt

Cornelia Franz gewinnt mit ihrem Roman »Calypsos Irrfahrt«

»Vier Wochen Segeltörn im Mittelmeer, kein Wind und nichts als Wasser: Oscar (10) ällt schon am dritten Tag in eine Art Sommerschlaf. Doch dann ÿschen sie einen Rettungsring aus dem Wasser, auf dem zwei Kinder liegen: Es sind Nala und ihr kleiner Bruder Moh, die von einem Flüchtlingsboot gefallen sind.«

Cornelia Franz, geboren 1956 in Hamburg, studierte Germanistik und Amerikanistik und absolvierte eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin. Seit rund 25 Jahren ist sie Autorin von Kinder- und Jugendbüchern, darunter so erfolgreiche Titel wie »Piraten im Klassenzimmer« (dtv 2007) und die Jugendromane »Verrat« (dtv 2000) und »Ins Nordlicht blicken« (dtv 2012).
Fast ebenso lange engagiert sie sich in der Leseförderung, seit 2015 vor allem (zusammen mit Kollegen) durch die Gründung und Organisation des HamburgerVorleseVergnügens.

Laudatio

Im Feuilleton und auch bei Literaturpreisen wird Literatur für Kinder und Ju-
gendliche manchmal unter den Teppich gekehrt und erfährt viel zu wenig Beachtung. Was nicht nur seltsam, sondern vor allem auch töricht ist, denn was wäre die Literaturwelt ohne all die großarti-gen Lektürerlebnisse für jene, deren Leser*innenkarriere gerade erst beginnt? Umso schöner und wichtiger ist es, dass der Hamburger Literaturpreis auch in der Kategorie Kinder- und Jugendbuch verliehen wird und dass zahlreiche Einsendungen gezeigt haben, wie viele Talente es hier gibt. Die Preisträgerin Cornelia Franz – nur zur Erinnerung: die Auswahl erfolgt anonym – ist mit rund fünfzig Veröffentlichungen wahrlich keine Unbekannte auf dem Kinder- und Jugendbuchparkett. Liest man den Auszug aus »Calypsos Irrfahrt« merkt man von der ersten Zeile an, wie versiert und packend die Autorin schreibt. Der zehnjährige Oskar unternimmt mit seinen Eltern und der Hündin Lucy einen vierwöchigen Segeltörn – Langeweile ist vorprogrammiert. Doch plötzlich ändert sich alles, denn Oscar und seine Eltern retten zwei Kinder, Nala und ihren Bruder Moh, die, wie wir im Laufe der Geschichte erfahren, von einem Flüchtlingsboot gefallen sind. Damit beginnt eine Odyssee, und Cornelia Franz schildert in klarer Sprache, aus verschiedenen Perspektiven und auf kindgerechte und sensible Weise ein Schicksal, von dem man sich nur wünschen kann, es müsste nicht erzählt werden – und gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass es erzählt wird. »Calypsos Irrfahrt« hat uns thema-tisch wie erzählerisch rundum überzeugt, und wir hoffen, dass viele Kinder – auch wir großen – die Geschichte von Nala, Moh und Oscar bald auch im Ganzen lesen dürfen. Stefan Pluschkat

»Calypsos Irrfahrt« Textauszug

»Moh, mach die Augen auf. Du darfst nicht einschlafen.«
»Lass mich doch …«
»Wenn du schläfst, kannst du dich nicht festhalten.«
»Lass mich, Nala.«
»Schau mich an, Moh. Guck mal, ich komme mit der Zunge an meine Nasenspitze. Nun guck schon! Das kannst du bestimmt nicht, oder?«
»Klar, kann ich das. Aber meine Zunge ist so schwer. Lass mich schlafen, Nala. Ich bin müde.«
»Na gut, für einen Moment. Leg den Kopf an meine Schulter. Ich pass auf dich auf.«
… Es dauerte keine Minute, bis Oscar erkannte, was dort im Wasser schwamm. Es war ein rot-weißer Rettungsring. Und in dem Ring steckte ein Kind. Nein, es waren zwei! Das größere der beiden hielt sich mit einem Arm an dem Ring fest, mit dem anderen umklammerte es einen kleinen Jungen. Sein Kopf lag auf der Schulter des Mädchens, so dass ihr seine schwarzen Korkenzieherlocken ins Gesicht hingen. Mit jedem Meter, den die Calypso näherkam, war die Erschöpfung der beiden deutlicher zu sehen.
»Hallo, hallo!« Oscar wedelte wild mit den Armen in der Luft herum. »Wir kommen!«
Neben ihm machte sich Lucy lang und länger. Sie guckte genauso gebannt wie Oscar zu den Kindern hinüber. Sein Vater ließ hastig die Segel fallen, während seine Mutter den Bootshaken aus der Halterung zog. Die Calypso wurde langsamer, und schließlich hatte das Boot den Rettungsring fast erreicht. Vielleicht war das Mädchen am Ende seiner Kräfte. Vielleicht wusste es, dass jetzt jemand anderes die Verantwortung übernahm. Jedenfalls ließ es in diesem Moment sowohl den Rettungsring als auch den Jungen los. In Zeitlupe sanken sie beide inmitten des Rings ins Meer und ihre dunklen Köpfe verschwanden unter Wasser. Wie gelähmt starrte Oscar auf den leeren Rettungsring. Sein Herz klopfte wild.